IV. Sprache in der virtuellen Welt

Kommunikation im Internet funktioniert vorwiegend mittels Text: Ob im Chat, in Newsgroups oder per Mail, Informationen werden mit dem getippten Wort übermittelt. Alle anderen Ausdrucksmöglichkeiten, die in einer face-to-face-Gesprächssituation zur Verfügung stehen wie etwa Mimik, Körpersprache, Gestik oder Stimmlage fallen im Internet weg.
Ausgehend von der Kanalreduktionstheorie müßte es sich bei der Kommunikation im Netz um eine besonders informationsarme Interaktionsform handeln, da die meisten Sinnesmodalitäten dort von der Teilnahme an der Kommunikation und der Aufnahme von Information ausgeschlossen werden (vgl. Batinic & Moser 1998, S. 45).

Doch gerade diese Beschränkung wird von vielen Nutzern als angenehm erlebt, da man durch den fehlenden optischen Eindruck niemanden aufgrund äußerlicher Merkmale beurteilen und so ablehnen kann: Aussehen, Verhaltensweisen, Alter und andere Merkmale, die beim realen Kontakt augenscheinlich würden, "... können dazu führen, daß ich jemanden vorschnell in eine Schublade packe. Das fällt weg, übrig bleibt das, was ein Mensch denkt und fühlt, was ihn bewegt und was für Meinungen er hat." (Winni 1998, S. 79).
In der Umfrage von Reichardt wird das Fehlen dieser Kommunikationskanäle und die damit verbunden Freiräume für Interpretation und Selbstdarstellung von einigen Befragten als Vorteil der virtuellen Kommunikation genannt, von vielen aber durch die Unklarheit und die so entstehende Unsicherheit bezüglich der jeweiligen Aussageinhalte auch als nachteilig erlebt (vgl. Reichardt 2001, S. 68 f.).

Ein weiterer besonderer Aspekt von Sprache im Internet sind Ergänzungen zur konventionellen Schriftsprache wie etwa Emoticons, Akronyme und Elemente aus der Comicsprache. Möglicherweise sind sie der Versuch, die eben genannten Defizite von Sprache im Internet wieder auszugleichen, teilweise dienen sie aber auch der Abkürzung und ersparen somit Tipparbeit.

Mit Emoticons (zusammengesetzt aus Emotion=Gefühl und Icon=Zeichen) werden kleine, einzeilige Zeichnungen aus Satzzeichen und/ oder Buchstaben bezeichnet. Die bekanntesten sind die sogenannten Smilies wie etwa :-) für ein lachendes Gesicht oder :-( für ein trauriges Gesicht (um 90° nach links gedreht).
Sie werden verwendet, um Emotionen und Geschriebenes zu nochmals bildhaft darzustellen ("Ich bin traurig :-(" ) oder auch um ironisch und nicht ganz ernst gemeinte Beiträge als solche kenntlich zu machen, wie es oft mit dem zwinkernden Smilie ;-) geschieht, der hinter der jeweiligen Aussage erscheint.
Es gibt eine Menge dieser kleinen Zeichen, die nicht nur die unterschiedlichsten Gesichter, Personen und Gemütszustände beschreiben, sondern auch Gegenstände wie etwa die Rose @-->--- oder die Kaffeetasse |_|o.

Akronyme sind Abkürzungen, die sich aus den Anfangsbuchstaben der jeweiligen Aussage zusammensetzen und bereits unter III. im zweiten Abschnitt erwähnt wurden. Abgesehen vom Usenet werden vor allem im Chat werden häufig Akronyme verwendet, die Gefühlszustände ausdrücken, wie etwa *g* für Grinsen oder *lol* für laut lachen (hergeleitet vom englischen "laughing out loud"). Zum besseren Abgrenzen der Akronyme vom eigentlichen Text werden sie häufig zwischen Trennzeichen gestellt (* # <> oder andere).

Besonders im Chat ist es üblich, Elemente aus der Comicsprache zu verwenden (vgl. Reichardt 2001 S. 42f.). Wie bei den Akronymen soll auch hier hauptsächlich Zeit bei der Text-eingabe gespart werden: Der Chat läuft ja in Echtzeit weiter, und wer zu lange an seinem Beitrag formuliert, riskiert, daß die anderen seine Aussage nicht mehr dem Bezugstext zuordnen können. So werden die Beiträge Anderer mit einem kurzen *würg* oder *pruuust* kommentiert, statt sich damit aufzuhalten, relativ lange Antworten wie "Ja, das ist echt eklig!" oder "Hihi, ist ja zu komisch!" zu tippen.
Auch komplexere Tätigkeiten werden in solche Konstruktionen verpackt, und da diese nur unwesentlich kürzer als der volle Satz sind (in Einzelfällen sogar wesentlich länger), kann der Sinn nicht in der Vereinfachung des Tippvorgangs liegen. Vielmehr vermitteln solche - für Neulinge oft seltsam anmutende - Konstrukte zumindest erfahreneren Chattern mehr den Eindruck einer realen Interaktion: Schreibt ein Nutzer

Oskar: *Karla zuwink*,

so entsteht unter den Teilnehmer viel mehr der Eindruck von Bewegung, als wenn dort steht:

Oskar: Ich winke Karla zu!

Mitunter entstehen durch diese Reihungen, die nicht immer mit Leerzeichen zwischen den einzelnen Wörtern getrennt werden, seltsame Wortungetüme, die die Mitlesenden erst mühsam auseinanderpflücken müssen, um ihren Sinn zu erfassen - oder wer weiß schon auf Anhieb etwas anzufangen mit
*kaffeeschnappindiechanneleckerennundzuguckt*?

 

Ausgehend von diesen Veränderungen in der Sprache durch das Internet ebenso wie durch angeblich vermehrtes Auftauchen von englischsprachigen Begriffen im Zusammenhang mit der Technik im Internet und anderen modernen Medien wird in manchen Vereinen und in der öffentlichkeit zunehmend die Verarmung der deutschen Sprache sowie ihre Verdrängung durch zunehmende Anglizismen diskutiert (1,2) .
Der Verein für Deutsche Sprache e. V. etwa setzt sich seit 1997 für den "respektvollen Umgang mit der deutschen Sprache ein und kürt jährlich den sogenannten "Sprachpanscher des Jahres" und "Sprachhunzer des Monats"; Die zweifelhafte Ehrung durch diesen Titel erhalten Personen oder Institutionen, die durch Anglizismen unfreiwillig komische oder unverständliche neue Formulierungen schaffen.

Besonders Kinder und Heranwachsende würden durch die Chatsprache die "richtige" Sprache verlernen, argumentiert man. Die im schnellen Medium Internet praktizierte Kommunikation mit ihren Tippfehlern, Abkürzungen, der oft praktizierten Kleinschreibung aller Wörter, ihrer Orientierung der Schreibweise an Aussprache und Dialekten und ihren sonstigen spezifischen Eigenheiten setze sich auch im herkömmlichen schriftlichen Austausch durch und verdränge Rechtschreibvorgaben, wird befürchtet.

Demgegenüber steht die Vermutung, daß die geschriebene Sprache durch das Internet und seine Kommunikationsmöglichkeiten einen neuen Aufschwung erfährt, da der Austausch dort sehr viel schneller und einfach abzufassen ist als etwa ein Briefwechsel. Ein Indiz für die häufigere Verwendung von getippter Sprache sei auch die Begeisterung Jugendlicher an der Kurzmitteilungsoption von Mobiltelephonen SMS.

Interessant ist, daß die Forschung weniger am angeblichen Sprachverlust interessiert ist, sondern vielmehr die Vielfalt der Sprache, wie sie das Internet und andere neue Kommunikationsmittel hervorbringt, untersucht und sie den Wandel als normalen Prozeß einer aktiven, lebendigen Sprache wahrnimmt (1,2).

Daß sich durch das Internet ein Wandel der Sprache ergibt, ist offensichtlich; Es bleibt meines Erachtens jedem selbst überlassen, diesen als Zugewinn oder als Verschlechterung zu bewerten.

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