Die vielen Vorteile, die das Internet bietet, scheinen es zu einem idealen Medium zu machen, um Gleichgesinnte zueinander zu führen und ihnen den Kontakt zu ermöglichen. Dennoch entstehen durch die Beschaffenheit des Internet im gleichen Maß Nachteile und Risiken; außerdem schafft es Barrieren für bestimmte Surfer.
Die nachgenannten Punkte sind nicht immer auf Menschen mit irgendeiner Form der psychischen Beeinträchtigung und deren spezifischen Problemlagen zu beziehen, sondern sie betreffen alle Menschen, die sich im Internet bewegen oder auch nur einen Teil von ihnen - und somit unter Umständen auch diejenigen, die auf der Suche nach Rat und Hilfe im Bezug auf ihre eigene psychische Problemsituation sind.
Die Reduktion auf die Sprache beim Austausch im Internet wurde als Vorteil
genannt, da andere Eigenschaften der Person nicht wie im face-to-face-Kontakt
bewertet werden können und somit eine Konzentration ausschließlich auf die
Problemstellung stattfindet.
Doch gerade diese Eigenschaft des Internet wirkt gleichzeitig als Ausschlußfunktion
für bestimmte Personengruppen: Präzise Beschreibung der Problemlage, eigene
Emotionen und Gedankengänge für andere nachvollziehbar zu formulieren, Wärme
und Verständnis gegenüber anderen Schreibern in Worte fassen zu können und
lebendige Ausdrucksweise, die das Interesse der anderen weckt, sind Voraussetzungen
für den Austausch im Internet.
Wer über diese Fähigkeiten nicht verfügt, sei es durch Analphabetismus, Legasthenie oder mangelnde sprachliche Kompetenz beim Formulieren, dem bleiben die Möglichkeiten des Austauschs via Internet teilweise oder sogar vollständig verschlossen.
Eine der häufigsten Fragen, die Netzunerfahrene stellen, wenn sie jemanden
beim Chatten über Schulter gucken, ist: "Woher kannst du denn sicher sein,
daß das auch alles stimmt, was er über sich sagt?"
Tatsächlich kann man sich eben nicht sicher sein: Das Internet bietet durch
die Reduktion auf das getippte Wort viel mehr Freiheiten in der Selbstpräsentation
als das "reale Leben", in dem äußerliche Merkmale, Geschlechtszugehörigkeit
und soziale Rolle wahrnehmbar sind. In der öffentlichkeit wird diese Tatsache
besonders im Hinblick auf das kriminelle Potential hin spektakularisiert,
wie Spielfilmtitel der Sorte "Der Tod kam aus dem Chat" belegen.
Viel weniger beachtet wird jedoch, daß virtuelle Identitäten nur in Ausnahmefällen zum Zwecke krimineller Handlungen angenommen werden, sondern den Nutzern vielmehr die Möglichkeit bieten, andere Bereiche ihrer Persönlichkeit in den Vordergrund zu rücken, wie es im realen Leben nicht möglich sein kann und spielerisch testweise in andere Rollen schlüpfen können. Durch das Verschweigen seines wahren Alters kann der vierzehnjährige Hobbywebdesigner so etwa im Expertenforum als gleichwertiger Diskussionspartner wahrgenommen werden, die Frau, die einen männlichen Nickname wählt, ist vor Flirtversuchen männlicher Internetnutzer geschützt, und der männliche Teenager, der testweise mit einem vielsagenden weiblichen Nickname den Chat betritt, macht Erfahrungen, die er mit einem offensichtlich männlichen Spitznamen nie hätte machen können (vgl. Döring 2000, S. 65 f.).
"Chat ist eine feine Sache, da triffst du nur auf junge, reiche und gutaussehende
Menschen", kommentierte eine Chatnutzerin die allzu offensichtlichen Flunkereien
der anderen Chatteilnehmer sarkastisch. Durch die Oberflächlichkeit vieler
Chatkontakte und die hohe Fluktuation der Teilnehmer ist es in Chats sehr
einfach, eine Selbstpräsentation aufzubauen, die von der realen Identität
in Einzelheiten oder zum Teil auch erheblich abweicht.
Allzu oft wird diese spezifische Eigenschaft des Chat aber dem gesamten Internet
zugeschrieben. Doch das Internet mit all seinen Diensten und Angeboten macht
es nicht immer so einfach wie im Chat, sich als jemand anderes auszugeben:
Während man sich in Newsgroups und Foren zu bestimmten Themen weniger durch
die positive Darstellung der eigenen Person Anerkennung erwirbt, sondern durch
fachkundige Beiträge und Hilfsbereitschaft gegenüber den anderen Teilnehmern,
wird es spätestens bei engeren Internetkontakten schwierig, die Maskerade
und das Spiel mit der falschen Identität aufrechtzuerhalten, da sich bei vielen
Onlinefreundschaften früher oder später der Wunsch nach einem realen Treffen
einstellt, bei dem solche Schwindeleien dann enttarnt werden und damit meist
auch der virtuelle Kontakt beendet wird (vgl. Döring 1996 (1), S. 50).
Das Internet bietet zu den unterschiedlichsten Themen viele Informationen
- unter Umständen sogar zu viele, so daß man vor einem Berg von Links und
Dateien steht und nicht weiß, wo man anfangen soll. Eine Suchmaschinenanfrage
mit dem Begriff "Depression" ergibt zwischen 3.920.000 und 1.061.570
internationale Treffer bzw. noch weit über 100.000 deutschsprachige Angebote
mit dem Suchwort (getestet im Januar 2002 mit altavista
bzw. google). Ein ungeübter Nutzer, der
Schwierigkeiten hat, seine Suchanfrage mit geeigneten Begriffen zu umschreiben
und zu präzisieren, wird anhand dieser Flut von Informationen schier verzweifeln.
Auch das "Verzetteln" beim Durchklicken der Ergebnisse ist keine Seltenheit
- womöglich hatte man mit der Suche nach Vorsorgemöglichkeiten bei Krebserkrankungen
angefangen und fragt sich zwei Stunden später, wie man eigentlich auf die
eben betrachtete Seite zum Thema Segelyachten kam.
Von manuell gepflegten Suchkatalogen
abgesehen, bei denen der Suchbegriff mit zunehmender Tiefe beim Einstieg ins
Verzeichnis immer weiter präzisiert werden kann, erhalten. Suchmaschinen die
von ihnen gefundenen Seiten durch verschiedenste Kriterien.
Beispielsweise stehen Seiten, die das jeweilige Suchwort im Seitentitel und
in den überschriften haben, bei einigen Suchmaschinen in den Suchergebnissen
weiter vorne, während andere Anbieter die Häufigkeit des Wortes auf der jeweiligen
Seite oder das Auftauchen des Suchbegriffes in den Schlüsselwörtern im Quelltext
bewerten - so stellt man zwar sicher, daß die angezeigte Seite irgend etwas
mit dem Gesuchten zu tun hat, die Position der Seite unter den Suchergebnissen
sagt aber wenig darüber aus, wie umfangreich und qualitativ hochwertig die
Informationen dort sind.
Das Angeben falscher Schlüsselwörter, unsichtbare Texte auf der Seite und andere Tricks werden von Seitenerstellern bisweilen angewandt, um Seiten in der Suchmaschinenbewertung bei häufig nachgefragten Suchwörtern nach oben zu treiben, während Seiten mit gutem Informationsgehalt ihre Seiten möglicherweise nicht für Suchmaschinen optimiert wurden und so dem Suchenden schlechter zugänglich sind oder ihm gar völlig verborgen bleiben.
Die im Vergleich zu anderen Medien relativ einfache Möglichkeit, im Internet
zu publizieren und der Seite ein professionelles Aussehen zu verleihen, wirft
für den Internetnutzer weitere Probleme bezüglich der Prüfung von Inhalten
auf (vgl. Debatin
1996). "Die Auswahl (Selektion) von Information und ihre Rückführbarkeit
auf glaubwürdige Quellen sind deshalb zentrale Probleme der Kommunikation
im Internet." (Debatin
1999)
Frei erfundene Zertifikate, Awards, Gütesiegel und Auszeichnungen, die auf
manchen Webseiten zu finden sind, täuschen den Verbrauchern zusätzlich Seriösität
und Glaubwürdigkeit vor.
Eine wie auch immer geartete Lösung dieses Problems (sei es durch "intelligente" Zusatzsoftware oder veränderte Kriterien der Suchmaschinen) ist nicht Sicht. Es bleibt also nur die eigene sorgfältige überprüfung der Glaubwürdigkeit durch den aufgeklärten und kritischen Konsumenten.
Die populäre These der "Internetsucht" taucht häufig automatisch auf, wenn
jemand begeistert von seinen Erfahrungen und Aktivitäten im Netz berichtet.
Der vereinsamte Internetnutzer ohne reale soziale Bezüge, der den ganzen
Tag am Rechner verbringt, kommt aber bei weitem nicht so häufig vor, wie es
Berichte in den Medien und Spekulationen vermuten lassen: Vielmehr wird
das Internet von den meisten Nutzern als Medium begriffen, mit dem vorhandene
soziale Beziehungen gepflegt und zusätzliche Kontakte geknüpft werden können,
die reale Kontakte aber nicht verdrängen. Auch die Hypothese der Realitätsflucht
durch das Internet konnte nicht belegt werden. Vielmehr gebe es Phasen, in
denen das Internet viel genutzt werde und dann wieder weniger (vgl. Döring
1996(2)).
Besonders in der Anfangszeit sei der Kontakt zum Medium sehr intensiv, wandelt
sich dann aber zu geringerer und sinnvollerer Anwendung (vgl. Krüger und Funke
1998, S. 68).
In einer 1997 durchgeführten Umfrage antworteten rund 67%, sie wären öfter länger im Netz gewesen als eigentlich geplant, und 50% gaben an, häufiger im Netz zu surfen, obwohl sie eigentlich anderes zu tun hätten. In derselben Umfrage äußerten jedoch über 80%, nach tagelanger Netzabstinenz keine Spannung zu verspüren, und fast ebenso viele Nutzer verneinten, im Internet ihre täglichen Sorgen vergessen zu können (vgl. Batinic 1997).
Es kann nicht geleugnet werden, daß das Phänomen der Internetabhängigkeit tatsächlich existiert und ein gewisser Prozentsatz der Surfer davon betroffen ist (vgl. Krüger & Funke 1998, S. 68). Jedoch "ist problematische Mediennutzung nicht dem Medium selbst, sondern eher situationalen und differenzialpsychologischen Hintergrundfaktoren anzulasten" (Döring 1996(2)).
Allein die Tatsache, daß man mehr surft als man sich vorgenommen hat und oft surft, anstatt wichtigere Dinge zu erledigen, kann schwerlich als Indikator für Suchtstrukturen gesehen werden, denn dann "wäre es aber wohl auch an der Zeit, gezielt gegen andere Massensüchte wie die Fernseh-, Telefon-, Lese- oder Sportsucht anzugehen!" (Krüger & Funke 1998, S. 68).
Was in den meisten Bereichen des WWW und auch im Usenet geschrieben wird,
kann von jedem beliebigen Nutzer auch über Suchmaschinen gefunden und gelesen
werden. Dadurch entstand und wächst ein riesiges Archiv, in dem man auf eine
große Menge an Informationen zurückgreifen kann.
Allerdings besteht auch die Möglichkeit, entsprechend "ausspioniert" zu werden,
wenn man mit echtem Namen im Netz unterwegs ist. Durch die Verwendung von
Phantasienamen kann diese Gefahr zwar verringert werden, dennoch lassen sich
Datenspuren in einigen Fällen auf den Urheber zurückverfolgen und mißbrauchen.
Lästig und im Internet leider ebenso üblich ebenso wie im Bereich der schriftlichen
Werbung im Postkasten an der Haustür ist die Praxis, auf Webseiten
gesammelte Emailadressen, Nutzerdaten, und Verbraucherprofile (die
beispielsweise bei der Anmeldung für kostenlose Emailadressen oder andere
Serviceleistungen im Internet
abgefragt
werden) an Firmen weiterzuverkaufen. Diese Adressen werden dann für
den Versand unerwünschter Werbung genutzt, das sogenannte Spamming,
das je nach Menge der erhaltenen Mails durchaus zum ärger werden kann.
In letzter Zeit immer häufiger in der öffentlichkeit diskutiert ist die Thematik von Viren und Würmern, die per Mail, infizierter Software oder über bestimmte Webseiten auf den Rechner gelangen. Sie können private Daten, Passwörter und Dokumente auf dem Rechner ausspionieren oder Soft- und Hardware zerstören. Durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen und entsprechende Verhaltensweisen wird dieses Risiko zwar minimiert, kann aber für den unbedarften und uninformierten Anwender eine große Gefahr darstellen. (vgl. Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik 2001)
Im vorletzten Teil dieser Arbeit werde ich den Punkt der Sicherheit im Internet und den dazugehörenden Schutzmaßnahmen genauer ansprechen.
Der Zugang zu Informationen und Diensten im Internet setzt den Zugang zum Internet selbst voraus. Zwar steigen die Nutzerzahlen weltweit kontinuierlich, dennoch waren im Frühjahr 2001 lediglich 37% der deutschen Haushalte mit einem Internetzugang ausgestattet (vgl. TNS Emnid 2001). Die deutschen Haushalte liegen damit im europäischen Vergleich eher im unteren Mittelfeld (vgl. Kommission der europäischen Gemeinschaften 2001, S. 5). Zwar mögen viele über die Arbeitsstelle oder Freunde die Möglichkeiten zu Online-Recherche und Emailempfang haben, so daß nicht automatisch von 63% komplett Internetunkundigen ausgegangen werden kann; Dennoch ist es gerade bei Menschen mit psychischen Problemen ein Vorteil, zu jeder Zeit (und damit auch in Krisensituationen) Zugriff auf das Internet zu haben.
Grund für diese "private Internetabstinenz" können neben Desinteresse am Medium oder aktiver Ablehnung die vergleichsweise hohen Erstausstattungskosten sein, die sich ergeben, wenn in einem Haushalt noch kein PC vorhanden ist und die anschließend anfallenden Onlinekosten für die jeweiligen Verbindungen. Diese Annahme belegen Studien, nach denen die überwiegende Mehrzahl der Onliner noch immer unter den mittleren bis höheren Einkommensschichten zu finden sind (vgl. TNS Emnid 2001).
Noch weiter öffnet sich diese Kluft, wenn an sich klarmacht, daß diese Nutzerzahlen die westliche Welt und somit die großen Industrienationen repräsentieren. Ende 1999 nutzten etwa 260 Millionen Menschen weltweit das Internet. Das entspricht etwa nur 5% der gesamten Weltbevölkerung. Der überwältigende Mehrheit ist von der Nutzung des Mediums also ausgeschlossen.
Das Internet bietet Informationen und Austausch auch für Menschen, denen herkömmliche Wege der Kommunikation durch Behinderung nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Behinderte setzen daher hohe Erwartungen in das Internet und bewerten es als vorteilhaft: Laut einer 2001 durchgeführte Umfrage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie unter rund 3.300 Personen, davon 63% mit Behinderung, bewerten je über drei Viertel der Befragten die dargebotene Informationsfülle und die Erleichterung des Alltags als Hauptvorteile des Internet. 60% empfinden es als Vorteil, daß es im Internet keinen Unterschied zwischen Behinderten und Nichtbehinderten gibt.
Allerdings sehen auch 30% von ihnen das Internet als ein Medium, das noch
zu viele Barrieren für Menschen mit Behinderung aufweist (vgl. Bundesministerium
für Wirtschaft und Technologie 2001).
Dennoch ist gerade durch die Behinderung bedingt das Internet für diese Menschen
ein wichtiges Kommunikations- und Informationsmedium und teilweise sogar Basis
ihrer Integration in die Arbeitswelt (vgl. Grote 2000, S. 200).
Besonders bei zwei Behinderungen sind Betroffene auf bestimmte Hilfsmittel bei der Nutzung des Internet angewiesen: Bei Einschränkungen in der Motorik sowie bei eingeschränkter Sehfähigkeit bzw. vollkommener Erblindung. Für sie stehen auf ihre Bedürfnisse angepaßte Eingabe- und Ausgabehilfen zur Verfügung, wie zum Beispiel vergrößerte Tastaturen und Sprachsteuerung, Vergrößerungssoftware, Braillezeile und Screenreader, die den Bildschirminhalt vorlesen (vgl. Schulte 2001 und Bühler).
Durch höhere übertragungsgeschwindigkeiten setzen sich graphiklastige
Seiten immer mehr gegenüber den textbasierten Internetseiten durch. Dies
stellt Screenreader vor Probleme bei der Darstellung und Interpretation der
Inhalte. Wenn sich etwa hinter einer Graphik ein Link verbirgt, der nicht
mit aussagekräftigem ALT-Attribut
gekennzeichnet ist, bleibt einem blinden Surfern der Zugang zu diesen Inhalten
verwehrt. Ebenso stellen zu eng beieinander liegende Links Zugangsschwierigkeiten
für Menschen mit eingeschränkter Motorik dar (vgl. Hellbusch).
Viele Initiativen setzen sich für ein barrierefreies Internet ein und bieten Webdesignern eine Einführung in die spezifischen Probleme, die in diesem Zusammenhang auftreten (1,2,3,...). Auch gibt es einfache Tests, um die eigenen Seiten auf Barrieren zu überprüfen.
Werden einige einfache Regeln beachtet, ist es kein großer Aufwand, Internetseiten so zu bauen, daß sie den meisten Menschen zugänglich sind. Das Problem liegt weniger im Gestalten der Seiten, sondern vielmehr im Unwissen um die Schwierigkeiten von Menschen mit Behinderung beim Navigieren im Internet.